Brügge sehen und weiterfahren

Zwischenstopp auf dem Weg zum Eurotunnel

Vorwort

„Besuchen Sie Europa, solange es noch steht.“ So jedenfalls sangen es Geier Sturzflug 1983 in ihrem Lied der Neuen Deutschen Welle. Damals entstand das Lied in der Hochphase des Kalten Krieges und es besingt die unmittelbare atomare Bedrohung.
Das Europa, das wir problemlos bereisen können, ist seitdem kräftig gewachsen und doch haben wir bei einigen der ‚Neuzugänge‘ ein eher abstraktes Bild davon wie es dort aussieht. Andere wiederum waren uns immer schon präsent, wurden aber aus anderen Gründen nicht wirklich als Urlaubsorte wahrgenommen.

Es ist doch so: jedesmal wenn wir einen Ort nach ein paar Jahren wieder besuchen haben wir das Gefühl es sei ein klein wenig seines Charmes verloren gegangen. Es wird Zeit für eine Bestandsaufnahme!

Wir wollen daher das ganze Europa bereisen und in seiner Gesamtheit kennenlernen. In einigen Ländern sind wir schon gewesen, andere hatten wir eigentlich nie auf dem Schirm. Gefühlt jeder war schon in Spanien, Dänemark, Holland; Wer hat denn wohl Bulgarien oder Rumänien auf dem Wunschzettel? Wir reden viel über diese Länder und ihre Menschen, aber wissen zum Teil nur sehr wenig darüber. Also schauen wir da mal in den nächsten Jahren genauer hin.

Den Anfang des Projekts „Wir besuchen Europa“ macht der Süden bzw. Die Mitte Englands.
Dass sich der EU Austritt der Briten zum Zeitpunkt unseres Urlaubs besonders zuspitzen würde war bei der Planung schon abzusehen und fügt unserer Reise einen interessanten Aspekt hinzu.

Tag 1: Montag, der 16. September 2019

Die Koffer sind gepackt, Kameras und Zubehör sind schon im Auto verstaut, das wir erst wenige Tage zuvor neu bekommen haben. Dieser Tag wurde erst nachträglich hinzugenommen; Da der Platz auf dem Autozug durch den Eurotunnel fest gebucht ist, wollen wir kein Risiko eingehen diesen womöglich zu verpassen und übernachten daher in Brügge, das nur etwa 1,5 Stunden von Calais entfernt liegt.

Dieter hat ein Hotel ausgesucht das direkt im Herzen der Altstadt liegt und einen recht heimeligen Blick auf den Kanal aufweist. Die Nähe zum Schokoladenmuseum ist wohl auch eher kein Zufall gewesen, aber wir schaffen es nicht mehr rechtzeitig, um eine Tour zu machen. Immerhin hat der Shop noch geöffnet und wir können uns mit feiner Schokolade eindecken.

Der erste Test im Hotelzimmer zeigt dass sie sehr gut ist, dem Vergleich zum Output des Schweizer Schokolariums von Maestrani aber nicht standhalten kann.

Leider fehlt uns für eine große Sightseeingtour in Brügge sowohl die Zeit als auch die Energie (woran das verfeierte Wochenende vorher nicht ganz unschuldig ist), und so spazieren wir nur ein wenig bei Nieselregen durch die Altstadt und nehmen uns eine intensivere Besichtigung für ein anderes Mal vor.

In Brügge ist die Hansezeit noch sehr lebendig. Im Gegensatz alten Hansestadt Dortmund (Ihr braucht gar nicht zu lachen, Dortmund war wirklich mal eine) sind hier die Häuser aus dem späten Mittelalter noch in großer Zahl und in zum Teil sehr unterschiedlichen Erhaltungsgraden zu sehen. Wir schlendern durch die Gassen an alten Handelskontoren vorbei und sehen vor unserem geistigen Auge die Pelzhändler Waren gegen dicke Münzbeutel tauschen. In einer dieser kleinen Wirtschaften um die Ecke sitzt auch bestimmt der Dortmunder Kaufmann Konrad Klepping und feiert gerade seinen wahnwitzigen Vertrag mit dem englischen König Eduard III, dem er gegen ein weiteres üppiges Darlehen die Große Krone von England als Pfand abgenommen hat.

Auch das Hotel ist selbstredend in einem dieser alten Gemäuer untergebracht, daher erwarten wir natürlich kein modernes Hotel mit seinen schlichten und klaren Wegen. Wir betreten das Hotel Martin’s Relais durch ein großes Portal in einem hübschen Innenhof und finden nach kurzer Suche den Empfangstresen. In einer kleinen Empfangshalle mit Stuckdecken und antikem Mobiliar bekommen wir unsere Schlüsselkarte und die Zimmernummer. Hier links, rechts, links um die Ecke, ein paar kleine Stufen und da ist der Fahrstuhl der uns in den ersten Stock bringen soll. Nun ja, wir haben ja Gepäck und aus diesen Etagen könnte man in modernen Gebäuden locker zwei machen, daher nehmen wir ihn, auch wenn er aussieht als wäre sein Erbauer ungefähr 1962 zu Grabe getragen worden. Sobald wir eine Taste betätigen blinkt das ganze Tastenfeld bedrohlich rot leuchtend, aber er bringt uns brav und ohne zu mucken dorthin wo wir hinwollen. Im ersten Stock dann rechts um die Ecke, links, dann geradeaus, die Stufen hoch, an dem Treppenhaus vorbei, dort die Treppe wieder hinunter, dann um die Ecke in das Zimmer.
Obwohl wir tatsächlich eine ganze Etage wieder treppab gegangen sind gibt es keinen Weg vom Eingang des Hotels zu unserem Zimmer. Zum Glück gibt es einen Notausgang direkt neben dem Zimmer, aber diesen „Dungeons & Dragons – Gedächtnis Parcours“ müssen wir tatsächlich immer nehmen wenn wir zum Zimmer oder zurück wollen.

Irgendwie ist uns heute gar nicht nach einem feudalen Abendessen, also speisen wir beim Italiener um die Ecke und machen es uns mit einer kleinen Auswahl an Getränken und Knabberzeug im Hotelzimmer gemütlich.

Während wir unseren eigenen fahrbaren Untersatz in einer nicht enden wollenden Odyssee durch Einbahnstraßen und baustellenbedingt gesperrten Straßen irgendwo ein paar hundert Meter weiter geparkt haben, gehört die Altstadt den Fahrrädern und auch Kutschen. Wenn direkt vor unserem Hotelfenster ein solches Kutschengefährt über das Kopfsteinpflaster trabt, hat man das Gefühl unter die Hufe zu kommen, so laut ist das Echo in den Engen Gassen. Wir hoffen jedenfalls, dass die Pferde bald Feierabend haben.


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